Gesundheitsreform - wirksam?

Veröffentlicht am 16.12.2008 in Ortsverein

Bernhard Allgeier, Saskia Esken, Klaus Kirschner und Hans Lambacher (v.l.)

„Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung - wirksames Heilmittel oder Placebo ?“

Diskussion zur Gesundheitsreform beim SPD-Ortsverein Dornstetten/Waldachtal

Klaus Kirschner, ehemaliger Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung, eröffnete mit diesem Einstieg beim Ortsverein Dornstetten eine ausführliche Diskussion.

Das Ziel der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) heißt: „Schutz vor dem existentiellen Risiko Krankheit ohne Überforderung“. Dieses Ziel soll erreicht werden auf der Grundlage des Solidarprinzips. Der Gegensatz zur privaten Krankenversicherung: der Versicherte hat einen Leistungsanspruch nach individuellem Bedarf, die Versicherung unterliegt einem Kontrahierungszwang ohne Risikoprüfung, die Versicherungsleistung wird finanziert nach der individuellen Leistungsfähigkeit (prozentual zum Bruttoarbeitsentgelt), und für die Versicherung gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Am Beispiel von Hüftgelenkprothese, Herzschrittmacher, Bypass-Operation und Knochenmarkstransplantation wird der erhebliche medizinische Fortschritt der letzten 50 Jahre deutlich: eine Steigerung der individuellen Lebensqualität auf der Basis einer solidarischen Finanzierung. Das Einnahmen-/Ausgabenproblem der GKV entsteht aber nicht durch diese Kostensteigerung, sondern ist „politik-verursacht“, durch Schmälerung der Finanzierungsbasis auf der Einnahmenseite und kostentreibende Eingriffe und Versäumnisse auf der Ausgabenseite. So wird ein erheblicher Anteil des West-Ost-Transfers, die Finanzierung der deutschen Einheit, nicht über Steuern, sondern über Versicherungsausgleichsleistungen erbracht (die GKV hat im Laufe von 10 Jahren mehr als 4 Mrd. € in die Neuen Länder transferiert, die PKV nichts!), und Scheininnovationen auf dem Arzneimittelmarkt und Überkapazitäten durch unzureichende Aufteilung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung treiben die Kosten.
Und die Einnahmeseite: In den letzten 10 Jahren hat es in Deutschland eine „Umverteilung von unten nach oben“ gegeben, die Lohnquote ist von 71,8 % auf 64,7 % gesunken, gegenläufig, von 28,2 % auf 35,3 % haben sich die Unternehmereinkommen entwickelt. Der Anteil der Niedriglohnempfänger hat sich von 15% auf 22 % erhöht. Und der durchschnittliche Niedriglohn sinkt.
Eine Schere geht auf zwischen dem wachsenden Bruttoinlandsprodukt und den praktisch stagnierenden beitragspflichtigen Einnahmen der GKV.

Die Statistik – und ganz direkt ein Vergleich der gesetzlich geregelten und daher auf der Leistungsseite gleichen Pflegeversicherung – zeigen: Arme sind kränker. Der Beitrag in der gesetzlichen Pflegeversicherung (Zahlen aus dem Jahr 2004) liegt bei 328 €, der Beitrag in der privaten bei 258 €. Der Anteil der Leistungsempfänger beträgt bei der gesetzlichen 2,74%, bei der privaten ist er nur halb so hoch, 1,31 %. Und die Leistung je Versichertem beträgt in der gesetzlichen 238 €, in der privaten 84 €.
Das Solidarprinzip funktioniert jedoch nur, wenn junge und alte, gesunde und kranke, reiche und arme zusammen in eine Kasse einzahlen: 10 % der Versicherten verursachen 80 % der Leistungsausgaben, 65 % verursachen
20 % der Ausgaben, und 25 % der Versicherten verursachen überhaupt keine Kosten… weil sie gesund sind.

Die Bundestagswahl von 2005 war die Entscheidung zwischen Kopfpauschale (CDU/CSU) und solidarischer Bürgerversicherung (SPD). Durch die große Koalition ist daraus ein problematischer Zwitter entstanden, mit Wahltarifen, Selbstbehalt und sogar einem Einstieg in das Verschuldensprinzip (zwar noch nicht Rauchen oder Sportunfälle... aber immerhin Tattoos und Piercing). Und der Gesundheitsfonds mit Zusatzbeitrag ist der Einstieg in die Kopfpauschale.

Ziel der Gesundheitsreform (durch das „PKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz“) sollte die Entlastung der Wirtschaft im Bereich der Lohnzusatzkosten sein. Tatsächlich wirkt sich die Reduzierung des Krankenkassenbeitragssatzes um 1,2 % mit 14 ct auf 100 € Wertschöpfung aus. Sind diese 14 ct wirklich ausschlaggebend für die Absicherung der Stellung von Deutschland als Export-Weltmeister?

In der ausführlichen Diskussion musste Kirschner auf viele Fragen aus den Reihen der Zuhörer eingehen. Seine Kritik an den Berufsvertretungsorganen der Ärzte: sie schaffen es nicht, die Missstände abzustellen, die eine gerechte Einkommensverteilung zwischen den verschiedenen Arzt“klassen“ verhindern. Der Röntgenfacharzt verdient - nach Abzug der Praxisunkosten - ein Vielfaches gegenüber dem niedergelassenen Hausarzt, bei erheblich geringerer persönlicher und zeitlicher Inanspruchnahme. Auch bei der aktuellen Arzthonorarerhöhung um ca. 10% wurde eine Strukturreform in dieser Richtung wieder „verpasst“. Ein weiterer Kritikpunkt ist die nicht funktionierende Organisation der „Sitz“-Verteilung, die zu einem immer größeren Stadt/Land- und West/Ost-Gefälle führt.

Der größte Missstand bei der Gesundheitsfinanzierung beruht seiner Meinung nach jedoch auf der Fehlentwicklung im Bereich der Krankenhausfinanzierung. Richtig ist die Konzentration auf leistungsfähige große Krankenhäuser. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz sah eine paritätische Finanzierung der Investitionen durch Bund und Länder vor. Seit 1986 wurde jedoch der Länderanteil stetig heruntergefahren, so dass inzwischen die Investitionen finanziert werden müssen aus der Krankenhaus-Kostenpauschale, die eigentlich nach der Intention des Gesetzgebers für die Behandlungskosten vorgesehen ist.

Und bei den Arzneimittel-Preisen wäre ein erster einfacher Ansatz zur Kostendämpfung die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes.

Es bleibt viel zu tun… trotz oder gerade wegen des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs der GKV!

 

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